Die Mär vom Heimvorteil
Straßlach-Dingharting – Wenn beim Fußball 50.000 skandierende Fans die Heimmannschaft unterstützen, dann ist die Rede vom 12. Mann, dann ist der Heimvorteil akustisch greifbar und der Motivationsschub für das Team der Gastgeber von der ersten Minute an spürbar. Die eigenen Fans brüllen das lokale Team nach vorne, die Home-Crowd sorgt dafür, dass auch vermeintliche Underdogs ihre Reserven mobilisieren und dem auf dem Papier stärkeren Team Paroli bieten. Das passiert regelmäßig an jedem Wochenende in den Stadien und auf den Bolzplätzen der Republik, und es ist gleichermaßen erstaunlich, denn die Rasenflächen, auf denen gespielt wird, sind dann doch alle ziemlich ähnlich und die Tore genormt – da gibt es zwischen Anstoßkreis und Torlinie keine großen landschaftlichen Überraschungen. Würden die Spiele stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen, müsste sich konsequenterweise jeweils das technisch und spielerisch bessere Team durchsetzen, ganz gleich ob auswärts oder zuhause. Doch die Unterstützung durch die heimischen Fans setzt regelmäßig Superkräfte frei und ließ schon manchen Favoriten in der Fremde straucheln, ganz gleich ob beim Fußball, Handball, Eishockey oder Volleyball, und im Pokal natürlich sowieso.
Auf den ersten Blick könnte man nun annehmen, dass der Heimvorteil im Golf sogar noch viel größer sein müsste als in den anderen Spielfeld-genormten Sportarten, denn schließlich ist jeder Golfplatz anders, jedes Fairway weist seine Besonderheiten auf, jedes Grün sowieso. Da gibt es enge Landezonen und heftige Breaks, Bäume und Büsche im Weg und Wasserhindernisse, ganz zu schweigen von oftmals schwer abschätzbaren Distanzen und der an diesem Tag je nach Wind und Wetter allein passenden Schlägerwahl. Die genaue Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten ist, so die landläufige Meinung, gerade im Golf von unschätzbarem Wert, und für Gäste ein gutes Turnierergebnis ohne vorherige Proberunde kaum denkbar.
Doch so einfach ist es nicht, und es gibt gleich mehrere Faktoren, die aus dem vermeintlichen Heimvorteil eine fast untragbare Bürde machen. Die Gründe sind dabei ebenso vielschichtig wie teilweise überraschend, denn zum Beispiel – und jetzt aufgepasst – tragen oftmals die Greenkeeper einen guten Teil dazu bei, dass die Heimmannschaften in der 1. und 2. Bundesliga der Deutschen Golf Liga presented by All4Golf keinen Heimvorteil haben. Und zwar nicht, weil sie schlecht arbeiten, sondern ganz im Gegenteil, weil sie es ganz besonders gut meinen, wenn Deutschlands Spitzenamateure auf „ihrem Platz“ aufteen!
Drei von fünf Teams siegen zuhause nicht
Doch der Reihe nach – und zunächst ein bisschen Statistik: Wir haben uns mal die laufende Saison der Deutschen Golf Liga presented by All4Golf herausgepickt und untersucht, wie die Teams der 1. Bundesliga jeweils bei ihren Heimspielen abgeschnitten haben. In der Nord-Liga der Damen siegt nur Hamburg zuhause, Hubbelrath wird auf dem eigenen Platz Zweiter, Hösel kommt beim Heimspiel nur auf Rang 4. Bei den Herren muss Hamburg daheim mit Platz 4 und zwei Zählern zufrieden sein, Hubbelrath wird nur Zweiter und Hösel nur Dritter. Im Süden ein ähnliches Bild: Bei den Herren setzt sich St. Leon-Rot im heimischen Kraichgau durch, doch Frankfurt muss zuhause mit Rang 2 zufrieden sein, und Stuttgart schafft es auf seinem mit besonders kniffligen Grüns ausgestatteten Parcours nur auf den vierten Rang. Bei den Süd-Damen siegt St. Leon-Rot zuhause, die Frankfurterinnen werden daheim Vorletzte, Stuttgart immerhin Zweiter. Betrachtet man die Ergebnisse der letzten zwei Jahre, ist das Ergebnis noch eindeutiger: Drei von fünf Gastgeber-Teams können ihren Heimvorteil nicht oder kaum nutzen, zumindest gewinnen sie zuhause nicht.
Nun könnte man durchaus logisch folgern, dass sich die starken Teams eben auch in der Fremde durchsetzen, ganz gleich, wie schnell oder langsam die Grüns sind, wie hoch oder dicht das Rough. Und im Fall von Top-Teams wie den Mannschaften aus St. Leon-Rot, die im Süden bei Damen und Herren seit Jahren dominieren, ist daran sicherlich viel Wahres. Doch allein die Stärke des Kaders erklärt nicht, weshalb sich Mannschaften zuweilen vor allem dann schwertun, wenn sie auf den eigenen Abschlägen aufteen.
Oma am Fairwayrand Pascal Proske, Trainer der Erstliga-Damen des Münchener Golf Clubs, hat gleich mehrere Hauptverdächtig für die Heimmisere seines Teams in den Saisons 2021 und 2022, als die MGClerinnen partout keinen guten Score ins eigene Clubhaus brachten – 2022 vergeigen sie am letzten Spieltag vor eigenem Publikum sogar noch den schon sicher geglaubten Einzug ins Final Four, werden daheim auf Rang 5 durchgereicht. „Für mich kamen da drei Faktoren zusammen“, so Proske. „Zum einen gibt es Spielerinnen, die mehr Druck verspüren, wenn am Fairwayrand plötzlich Eltern, Geschwister, Oma, Opa und Schulfreunde auftauchen; die können damit nicht so gut umgehen, da fehlt dann natürlich vor allem bei den jüngeren Spielerinnen oftmals die Routine.“ Der zweite Grund ist die plötzlich völlig andere Vorbereitung auf den Spieltag: Anstatt wie bei Auswärts-Partien mehrere Tage zusammen zu sein, gemeinsam zu trainieren, auch kurzfristig Mannschaftsbesprechungen abzuhalten, im Team-Hotel zu wohnen und Teamgeist zu entwickeln, kochen am Heim-Wochenende alle ihr eigenes Süppchen. Die eine kommt etwas später zum Aufwärmtraining, weil die Mama sie fahren musste, die andere ist am Abend bei einem Geburtstag eingeladen. Proske: „So entwickelt man keinen Teamgeist, und der ist oft entscheidend, wenn die Leistungsdichte hoch ist. Gerade in den Vierern fehlt dann zuweilen das blinde Verständnis.“
Und Grund Nummer 3 sind die – jetzt bitte festhalten – und nicht böse sein: Die eigenen Greenkeeper. Richtig: Sie sind zuweilen die Ursache, weshalb das Heimspiel zur Heimpleite wird. Und zwar nicht, weil sie keinen exzellenten Job machen würden, nicht, weil sie gerade beim DGL-Heimspieltag keinen extremen Einsatz zeigen würden, um die Anlage im besten Zustand und besten Licht zu zeigen – sondern gerade deshalb! Denn was passiert, wenn sie das Rough, um den Platz für die Spitzenamateure ein bisschen schwieriger und spannender zu machen, etwas höher stehen lassen, sie die Fairways etwas schmäler mähen, und die Grüns auf 12 Stimp runterbügeln? Dann haben vor allem die eigenen Akteure plötzlich einen Parcours vor sich, der sich völlig anders spielt als zuvor in gefühlt hundert Proberunden! Das Heimteam erkennt die eigene Anlage nicht wieder, der Parcours sich plötzlich völlig anders als gewohnt.
Augusta-Feeling auf der SOLITUDE
So ist es passiert in München 2021 und 2022, und auch in Stuttgarter gab es vor zwei Jahren dieses Phänomen: Da griffen die Greenkeeper ganz tief in die Trickkiste und machten die zum Teil extrem ondulierten Grüns des Platzes so schnell, dass echtes Augusta-Feeling aufkam. Die Folge aber für die Solitude-Sportler: Bewährte Ziel- und Landepunkte: Passé. Bekannte Breaks und Puttlinien: Geschichte. Und während sich die Gastmannschaften in der Proberunde eben auf diese Verhältnisse einstellten, weil sie sie nicht anders kannten, kamen die Hausherren und Gastgeberinnen ins Straucheln und wussten nicht mehr, wie ihnen auf der eigenen Anlage geschieht. Ergebnis: Stuttgarts Damen wurden 2022 zuhause Letzte, die Herren landeten auf Rang 4.
Damit so etwas in München nie wieder passiert, haben die Greenkeeper des Münchener GC seit 2023 Anweisung, auch am Heimspieltag einen sehr guten Platz zu präparieren, aber nichts groß anders zu machen als in den Wochen zuvor, in denen sich die MGC-Akteure eingespielt haben. Außerdem quartiert Pascal Proske seine Damen auch an Heimspieltagen im Hotel ein und stellt damit die gemeinsame Vorbereitung sicher. Ergebnis der Maßnahmen im letzten Jahr: Platz 2 zuhause und Einzug ins Final Four. Proske: „So können wir die Vorbereitung auf den Heimspieltag genauso gewissenhaft und konzentriert durchführen wie für jeden anderen Spieltag auch.“
gEDRÄNGE HINTER sT. lEON-rOT So ist das Proske-Team auch das Heimspiel der Saison 2024 angegangen, das an diesem Wochenende im Münchener GC stattfindet – der dritte Doppelspieltag der DGL-Saison 2024: Gemeinsames Quartier im Hotel Seidl in Fußweite zum Platz, ein Hinweis an die Greenkeeper – den Druck der zuschauenden Entourage halten sie mittlerweile aus, ja, der ist mittlerweile eher positive Motivation. Zwischenstand nach zwei Runden, nach Einzel und Vierer am Samstag: St. Leon-Rot führt mit 4 unter Par vor Stuttgart (+10), München (+14), Frankfurt (+16) und Fürth (+17). Alles eng beisammen, alles noch drin.
Besondere Vorkommnisse: Fürths Lisa Marie Schumacher spielt mit 69 Schlägen die beste Einzelrunde, an Loch 7 gelingt ihr dabei ein Ass. Den stärksten Vierer bringen am Nachmittag Una Irrgang und Grace Vetter vom GC St. Leon-Rot ins Clubhaus, die eine 68 unterschreiben.
Durchgang 3 beginnt am Sonntag um 8:30 Uhr – hier geht‘s zu den